Mittwoch, 28. September 2011

Nur ein Kätzchen für Tennessee Williams

Einer Metapher gleich liegen ausgebreitet Europaletten auf der Bühne und reichen in Laufstegen über den Orchestergraben hinaus bis auf den Schoß der Gäste in der ersten Reihe. In der Bühnenmitte türmen sich weitere Paletten zu einer Wand auf und öffnen mit transparenten Vorhängen einen Spielraum in dem Luxus und Dekadenz sich nach Freuden ausbreiten kann. Die sparsam eingesetzten Lichtwechsel vollenden eine Stimmung in der die Lebenslügen der Familie Big Daddys zum Vorschein kommen können, an seinem Geburts- und Sterbetag. Ein Lob an Claus Stump für diese Ausstattung. So eröffnete „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams in der Regie von Kirsten Uttendorf im Großen Haus des Stadttheaters Bremerhaven am vergangenem Samstag.
Europaletten sind ein treffendes Bild. Auf diesem genormten Transportmitteln wird weltweit alles denkbare Handelsgut befördert. Sie stehen zum einen als Zeichen für Umsatzgewinne in unvorstellbaren Dimensionen, Reichtum für die wenigen die den Markt kontrollieren. Andererseits wird schon allein durch die normative Reproduzierbarkeit angezeigt wie groß das Heer der Arbeiter oder Industriezeitsklaven sein muss um diese Flut von Waren zu bewegen. Die Europaletten im Bühnenbild sind offensichtlich neu. Und dennoch ahnt man unvermittelt den Schweiß und die Erschöpfung einerseits, so wie die dicken Zigarren und Schirmgetränke in feudalen Salons andererseits.
Big Daddy hat sich von dem Staub der Straße durch Hände Arbeit und geschickter Manipulation an die Spitze der 28.000 Morgen großen Baumwollplantage gestellt. Er ist ein Mann ohne reinem Gewissen. Er ist ein Tyrann der den letzten Funken Menschlichkeit darin bewahrt, in dem er seine Familie über alles stellt. Aber dieser Wert der Familie ist nicht aufrichtig. Es ist lediglich ein Beruhigungsteil im Puzzle der patriarchischen Big-Daddy-Dynastie. Jetzt am Ende seines Lebens bröckelt und bricht die mühsam aufgebaute Fassade in sich zusammen. So lange er mit Macht und Gewalt alle unter Kontrolle hielt, liefen die Dinge in geordneten Bahnen. Doch wenn die Kontrolle und Gewaltherrschaft an Lebenskraft verliert, dann blitzen die unterdrückten Begehrlichkeiten der einzelnen Familienmitglieder auf und bringen den Herrscher zu Fall. Gadaffi war so ein Big Daddy, Muscharaff auch und in abgeschwächter Form finden wir solche Charaktere überall in der Welt. Und ja, sie vermuten ganz richtig, auch in unserer Nachbarschaft werden sie fündig.
Tennessee Williams hat diesen Verfall und die aufkeimenden Begehrlichkeiten präzise beschrieben. Wenn Ibsen die Psychologie auf die Bühne gebracht hat (Nora oder ein Puppenheim), dann ist Tennessee Williams der Dramatiker der mit feinen psychologischen Nuancen Charaktere beschrieben hat die das Theater auf eine neue Kommunikationsebene gehoben haben, in die Vierdimensionalität, ein Raumzeit-Seelen-Kontinuum. Die Charaktere sind wie Göttergestalten angelegt und kaum noch mit realen Menschen zu vergleichen. Brick, gespielt von Andreas Möckel, trinkt an Big Daddys Geburtstag nahezu drei Flaschen Whiskey ohne erkennbar betrunkener zu werden. Und erst als er die Dritte fast geleert hat, setzt seine Transformation ein. Das ist kein Mangel an Schauspielkunst, vielmehr ist es die Entscheidung wie T. W. metaphorisch die Dimension vom Innenleben eines universalen Brick anlegte. Maggi, seine Frau, ist die fleischgewordenen Walküre die nicht nur bildlich gesprochen alles dafür gäbe um Bricks Liebe zurück zu gewinnen und in einem Triumph aufsteigen zu lassen. Um so mehr ist es mir allerdings ein Rätsel, warum die Regie diese beiden göttergleichen Potentiale so flach und unspezifisch angelegt hat. Brick kommt kurz vor der Pause zumindest annähernd an die Dimension die man einem Brick-Charakter abverlangen darf. Maggi, gespielt von Sascha Maria Icks, kommt nicht über eine sich anbiedernde Gebärbereite hinaus. Wer Frauen – und auch Männer – allein über ihren Sexualtrieb zu definieren sucht hat vom Menschsein, von der Seele der Menschheit und von Tennessee Williams nicht viel verstanden. 
Die offensichtliche oder vordergründige Handlung beschäftigt sich damit das ausser Big Daddy und Big Mama es alle wissen: Big Daddy wird am Krebs sterben! Es traut sich nur niemand dem Hausherrn die Wahrheit zu eröffnen. Und hier stellt sich nun die Frage warum uns diese Inszenierung vorgestellt wird. Ist es ein versteckter Hinweis den Tyrannen dieser Welt mitzuteilen, dass ihre Zeit vorüber ist? Ist diese Inszenierung so etwas wie ein sozialgeschichtlicher Rückblick ins Jahr 1955? Oder wird hier die gesamte Bandbreite der Emotionen, Liebe, Hass, Neid und alle Familienthemen wie Ehe, Kinder, Sex, Krankheit und Tod lediglich angesprochen? Deutlich wird es nicht. Der Herr neben mir in der Reihe klagte nach der Pause bereits das Stück „… habe einige Längen.“ Als im dritten Akt Gooper mit Vertragsentwürfen über die Nachlassregelung anrückt und Dr. Baugh das Morphium für den Sterbenden auspackt riskiere ich einen kleinen Rundblick. Drei Gäste entdecke ich die das Schauspiel für sich zum Hörspiel gewandelt haben. Das mag daran liegen weil die Sehgewohnheiten durch Film und TV geprägt sind. Es gibt Erhebungen die besagen das TV-Nutzer nach spätestens fünf Sekunden, in denen nichts neues passiert, umschalten. Als Big Daddy erfährt das er eben doch am Krebs sterben wird, steht er geschlagene 16 Sekunden reglos da, kein Wort, keine Spannung und keine Reaktion. Und das war nicht die einzige Situation: es gab pathetische Abgänge, ostentatives Gelausche und bedeutungsschwangere Momente in denen nur die Zeit lautlos verfloss. Wir auf der anderen Seite der Rampe müssen raten, rätseln und vermuten. Ein manipulativer Druck lastete auf dem Auditorium der vereinzelt, verständlicher Weise, einschläfernde Wirkung hatte.
Der Premienapplaus forderte das Ensemble mehrmals zur Verbeugung auf die Bühne heraus. Theater ist weit mehr als Unterhaltung, und um die Tiefen wie sie Tennessee Williams beschreibt auszuloten, hätte man dem Spiel mehr abverlangen dürfen. Die Schauspieler wären sicher dazu bereit gewesen. Diese Inszenierung bietet die Möglichkeit zu einer kontroversen Diskussion darüber was man von einer professionellen Bühne erwartet darf. Diese Auseinandersetzung sollte man als Theaterliebhaber Bremerhavens einfordern. Dann hat der neue Intendant noch Möglichkeiten in den kommenden Jahren zu reagieren.
Weitere Vorstellungen am 2., 7., 14. und 22. Okt. 2011 jeweils um 19:30.

Samstag, 17. September 2011

Rilkes Requiem für Paula

Eine kleine Gruppe Theatergäste steht in Grüppchen auf den mit Kerzen und Teelichtern beleuchteten Rasen. Wenige Schritte entfernt steht die aus Lehm errichtete Hütte mit tanzenden Fenstern geschützt unter Baumkronen. An der Kasse wurden wir aufgefordert zu warten bis alle gemeinsam eingelassen würden. Es ist noch Zeit für ein Glas Wein und um in den ausgelegten Büchern zu blättern. Wer auf dem Barkenhoff Worpswede zum Theater kommt sollte sich die kurzen Augenblicke der Einstimmung gönnen. Es lohnt sich. Denn die Cosmos Factory Theaterproduktion von Oliver Peuker und Ute Falkenstein läd zu einem Erlebnis ein, einem theatralen Erlebnis Geschichten intensiver zu erfahren.
Nun werden wir herein gebeten. Wir treten einzeln ein, größer ist die Tür nicht. Schon an der Tür empfängt uns ein Duft, ist es Weihrauch? Der Raum ist dunkel, nur auf der Spielfläche ist Beleuchtung, gerade hell genug um seinen Platz zu finden. Die Stimmung ist damit klar: Andacht, Rückschau, Einkehr und Gedenken an Vergangenes. Die Aufführung wird 40 Minuten dauern. Oliver Peuker, als Rainer Maria Rilke verkleidet, sitzt mit dem Rücken zu uns in einem Lehnstuhl und zupft versonnen an einem Saiteninstrument. Es klingt japanisch. Nachdem alle sitzen und Stille einkehrt, die Klänge in einer fernen Melodie enden, beginnt er zu sprechen. „Ich habe Tote“. Lang sitzt er dort und spricht von uns fort. Dann kommt der Moment das er sich erhebt. Er geht ein paar Schritte, zündet eine Kerze an, und noch eine. Während Peuker im Text voran kommt führt er eine Reihe symbolischer Handlungen aus. Diese sind besser zu verstehen wenn man das Requiem vorher gelesen hat und nachempfinden konnte. Der Sprachduktus ist ein ehr kräftiger, den man dem kränkelnden Rilke kaum zugetraut hätte. Wo findet all dies statt? Der Raum, die Handlung und die symbolischen Momente deuten wohl einen geistigen Raum an. In diesem Raum hat sinnliche Erfahrung eine untergeordnete Bedeutung. Das erlaubt den Betrachter eine distanzierte Betrachtung. Einem Requiem angemessen gibt es keine großen Schwankungen im Rhythmus. Man wird nicht mitgerissen, sondern man muss schon ein gehobenes Interesse mitbringen um diese Form des anspruchsvollen Theaters zu verstehen. Das ist sicherlich einem Poeten wie Rilke angemessen. Es wird Respekt vor der großen Kunst, dem großen Werk Rilkes eingefordert.
Dann ist es vorüber. Peuker alias Rilke geht ab, hinaus in den Garten durch die Tür durch die wir eintraten. Eine weitere Symbolik? Es herscht einen Moment Verwirrung. Ist das Stück schon vorbei? 40 Minuten können so kurz sein wenn man sie intensiv erlebt. nach einem gebührenden Applaus bleibt etwas wie Beklemmung zurück. Niemand wagt aufzustehen. Man spürt etwas besonderem beigewohnt zu haben, kann es aber noch nicht einordnen. Vor mir sitzen zwei Damen die im Gebet versunken scheinen, ein andere ist den Tränen nahe, wiederum ein anderer konnte offensichtlich nichts mit all dem anfangen und aus den hinteren Reihen kommt ein Kommentar: „Es traut sich keiner aufzustehen.“
Bis zum 25. September Fr., Sa. und So. jeweils 19:00, 20:00 und 21:00 gibt es noch neun Möglichkeiten dem Requiem einen Besuch abzustatten. Ich empfehle sich vorher inhaltlich zu informieren, und die Bereitschaft zu geben von einem Spiel konfrontiert zu werden welches Eigeninitiative verlangt.

Mittwoch, 7. September 2011

Die 39 Stufen

Auf der Bühne hängt ein wunderschöner roter Vorhang. Es ist ein ganz leichter Stoff, der schon bei leichtem Zug mit große Bögen in die Bühnentiefe schweift und schwebt. Er hat einen doppelten Faltenfall. Einmal sind da die großen Faltenbögen die von oben bis auf die Bretter die die Welt bedeuten reichen. Es kommt einem so vor als wäre der Stoff so leicht, dass der Vorhang durch die großen Falten stehen wenn nicht gar fliegen würde. Man könnte fast behaupten der seidenweiche Vorhang weht federleicht über den Brettern. Als sei dies eine Metapher oder Allegorie für das was den Besuchern erwartet. Und dann sind da noch die anderen Falten. Sie sind überall und in allen Richtungen. Wie ein gestärktes Baumwollhemd, ungebügelt, nur viel größer und leichter. Diese Falten sorgen für das Farbspiel aus Rot. Man stellt sich gar nicht vor wie viele mögliche Schattierungen und Abstufungen es bei der dunkelroten Farbe gibt. Es ist nur ein geringes Farbspektrum. von Karminrot bis manchmal ein wenig Bordeaux. Das ist interessant: All die Farben, all die Falten, all die Bögen, Aldi Süd. Wenn sie nun denken ich hätte einen schwachen Witz gerissen dann stimme ich voll und ganz zu. Ich habe ihn sogar abgekupfert, gestern Abend im Stadtheater Bremerhaven, Kleines Haus, bei "Den 39 Stufen".
Das Stück kommt beim Publikum an, keine Frage. Es ist im Stadtgespräch schon so oft positiv dargestellt worden, dass man es gut finden muss. Es ist sogar so gut, dass man gar nicht mehr hinterher kommt es gut zu finden. Von den gefühlten 7394 Gags die eingebaut wurden und mit gnadenloser Penetranz ausgespielt werden sind ca. 30% gut angekommen. Es scheint hier eine Regieleistung in der Form des Antilopen-Prinzips vorzuliegen. Sie kennen das Antilopen-Prinzip nicht? Wenn eine Herde Antilopen von einem Löwen bedroht wird, dann rücken sie zusammen, in der Hoffnung es möge die Antilope neben einem selbst erwischen. Tatsache ist aber, selbst ein Löwe hat an einer Antilope lange Zeit zu verdauen. Nein, kein Zweifel, „Die 39 Stufen“ sind eine Klamotte für die sich lohnt ins Theater zu gehen. Und mit lohnen möchte ich einen quantitativen Aspekt ansprechen. Irgend Jemand muss wohl gedacht haben das mehr Witze auch besser ankommen, weil mehr eben besser ist. Nun, jemand der noch völlig unerfahren ist sei diese Blauäugigkeit zugestanden. Das wäre ein guter Regieeinfall für ein Schultheater in der zweiten oder dritten Klasse. Da amüsiert man sich auch, denn man weiß die Kinderlein haben ja ihren Spass. Und wenn die Kinder Spass haben, dann freut man sich mit – ist doch  selbstverständlich.
Und während ich so dem lustigem Treiben auf der Bühne zuschaute, blitzen so einige Fragen vor meinem inneren Auge auf. Kürzlich hatte ich den Film „Gladiator“ auf DVD gesehen. Da sind eine Menge Szenen in denen die Tod Geweihten zur Unterhaltung der Bürger Roms sich von Tigern und Gladiatoren zerfleischen lassen. Das ganze nannte man „Spiele“ und warf dem Publikum „Brot“ in die Ränge. Das hatte den Vorteil dass das Volk die Klappe hält um in der Dekadenz zu ersticken. War das gemeint als Westerwelle von der spätrömischen Dekadenz sprach? Hätte ich ein durchweg vergnügtes Publikum gesehen das sich von Lachsalve zu Lachsalve steigert und stürzt, dann wäre mir dieser Gedanke an Dekadenz nicht gekommen, da bin ich mir sicher. Wer schon einmal einen Witz erzählt hat weiß, dass die Pointe durch den überraschenden Effekt entsteht. Man lenkt den Hörer auf eine Fährte und dann kommt die plötzliche Überraschung. Damit hatte niemand gerechtet und der Lacher ist garantiert. Dieser Trick hat auch gestern Abend ca. 10 bis 15 Mal funktioniert (siehe die einleitende abgekupferte Pointe). Eine andere Frage stellte sich mir, was wohl die Dramaturgen in so einem Stück machen. Sitzen die im Büro und schauen DVDs um sich aus „Der Wixxer“, „Schuh des Manitu“ und anderen Kino und Fernseh-Comedie-Erfolgen die griffigsten Gags rauszuschreiben. Archivieren sie die dann  und legen ein ausgeklügeltes Zugriffsmuster an um aus der prall gefüllten Datenbank Gags für jede Stimmungslage zu filtern? Oder sind Dramaturgen gewiefte Marketingstrategen die wissen wie man jedes Stück an den Mann bringt. Man kann z. B. einen Namen ins Spiel bringen der Leute neugierig macht. Alfred Hitchcock! Im Programmheft wurde ihm ein gebührender Platz eingerichtet. Doch hat Hitchcock mit dieser Inszenierung so viel zu tun wie Sellerie mit Obstsalat. Nach dieser Vorstellung ist das eine interessante Frage mit der ich mich noch einige Zeit beschäftigen werde.
Dann ist da noch das Schauspiel. Die Schauspieler sind die Seele des Theaters. Glaube ich zumindest, auch jetzt noch. Da bin ich unbeirrt. Zunächst einmal muss man wissen, Schauspieler haben das Handwerk gelernt. Damit heben sie sich vom Amateur ab. Ein ausgebildeter Handwerker kann viel schneller und erfahrener Entscheidungen treffen wie eine Situation ausgeführt werden kann als ein Amateur. Wenn allerdings diese zweifelsfrei vorhandenen handwerklichen Fähigkeiten als sportliche Höchstleistung abgerufen werden, dann fehlt etwas was den professionellen Schauspieler ausmacht. Der Zauber! Man kann mit Spieltechink und Gestaltungideen z.B. ein Auto oder einen Zug darstellen. Man erkennt den Zug und versteht, es soll ein Auto sein. Wenn der Schauspieler aber nicht über den Grad der Sportlichkeit wirken darf dann muss der Zuschauer seinen Beitrag zum Zug und zum Auto leisten. Und diese Eigenleistung, die eine rationale ist, verhindert den Zauber. Der Zuschauer kann anschließend einen Evaluationsbogen ausfüllen, erlebt hat er nix und verzaubert wurde er schon gar nicht. Es kann natürlich sein das es nie beabsichtigt war – wie schade.
Einer sticht aus dem Ensemble heraus wie eine Nonne im Bordell. Dieser eine hält das Stück zusammen. Überall da wo die Gags schwach oder kaum wahrnehmbar sind erklingt seine Kongruenz und Präzision. Er macht den Geräusch- und Klangteppich auf dem das Spiel voranschreitet. Er ist der Hans Zimmer des Theaters. Er macht die Life-Realtime-Nachvertonung des Stücks. Sein Name ist Martin Kruzig. Über die anderen Schauspieler bilde ich mir ein Urteil wenn ich die Gelegenheit sehe das sie ihre Kreativität zum Einsatz bringen können (bevor sie zum Sport müssen). 
Ich kann nur empfehlen sich das Stück anzuschauen. Man kommt - was Lachen betrifft - immer auf seine Kosten, keine Frage. Und wer ein leidenschaftlicher Theatergänger ist hat Gelegenheit einen Eindruck davon zu bekommen, unter welchen Zwängen das Theater steht und welche Kompromisse eingegangen werden um das Haus zu füllen. 

Montag, 5. September 2011

„Haie küsst man nicht“ im piccolo teatro

Bremerhaven Das schwierige an der Tragikkomödie ist der Ernst. Die großen Themen der Menschen sind immer noch Liebe und vor allem die enttäuschte Liebe. Als Betroffener kann man nur schwer damit umgehen. Manche nehmen sich sogar das Leben oder nehmen ihrem Expartner das Leben, wie es erst jüngst im nördlichen Landkreis geschah. Wenn solche Dinge im Theater angesprochen werden dann ist das nicht zur Belustigung. Andererseits ist das Theater auch kein öffentliches Therapiezentrum für Hobbypsychologie. Vielmehr bietet uns die Bühne die Gelegenheit ergreifende Situationen aus dem Leben mit einer Distanz anzuschauen, um unser eigenes Schicksal leichter zu ertragen. Man könnte auch sagen, Theater ist die qualifizierte Form der Kommunikation über Dinge zu reflektieren die auf rationaler Ebene zu keinem befriedigendem Ergebnis führen würden.
Dayen Tuskan als Eva Liebchen
Ein überzeugendes Beispiel für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Komik und Tragik gibt es derzeit im kleinsten Zimmertheater Bremerhavens zu sehen. Mit „Haie küsst man nicht“ von Stefanie Stroebele spielt dort Dayen Tuskan die Eva Liebchen. Liebchen hat sich während ihrer Geburtstagsparty in den Kindergarten, ihrem Arbeitsplatz, geflüchtet. Sie hatte beobachten müssen wie ihr Freund Martin mit ihrer besten Freundin heimlich knutschte. Dabei hoffte sie heute auf einen Heiratsantrag von ihm. In Tränen aufgelöst schmiedet sie nun Pläne von Mord und Selbstmord, welche sie auch mehr oder weniger in die Tat setzt. Und hier darf man Dayen Tuskan Anerkennung aussprechen wie sie die Balance, zwischen Tragik die zu echtem mitfühlen führt und der darin liegenden Komik die uns darüber hinweg hilft, hält.
Dann geht es Schlag auf Schlag. Eva Liebchen erinnert sich im Angesicht des „Todes“ an die Zeit mit Martin wie sie ein Paar wurden. Mit Rückblenden, wechselnden Rollen und Orten fliegen wir mit Eva durch die Stationen ihrer Liebesgeschichte und allen dazu gehörigen Kapriolen. Roberto Widmer, der schon auf 20 Jahre Regieerfahrung blickt, hat hier einmal mehr gezeigt wie man alle Register im Theater ziehen kann. Sein Ideenreichtum verbunden mit der Spielfreude und Wandlungsfähigkeit von Dayen Tuskan reißt jeden mit. Die beiden haben gezeigt wie man aus einem ehr dürftigen Text einen begeisternden Theaterabend machen kann. Am überraschendem Ende gab es dann auch viel verdienten Applaus. Es bleibt nur zu hoffen das es noch häufig gespielt wird. Die nächsten Aufführungen von „Haie küsst man nicht“ sind am 11. Sept. so wie am 16., 21. und 23. Oktober. Karten mit Kombiticket für den Bus gibt es unter 0471-4838 777 oder per eMail info@haventheater.de

Samstag, 3. September 2011

Gemälde und Bronzen im „KunstRaum“ Geestemünde


Bronzegruppe R. Schmitter
Bremerhaven Am Freitag öffnete sich die Tür für die neue Ausstellung im KunstRaum Geestemünde in der Schillerstraße 38 mit Acrylbildern von Ursula Collmann und kleinen bronzenen Plastiken von Rotraud Schmitter. Der KunstRaum war, wie immer zu den Eröffnungen, sehr gut besucht.
Man kann es ohne Übertreibung behaupten: Geestemünde, und damit auch die ganze Stadt, ist durch die kleine von einer Interessengemeinschaft geführten Galerie, bedeutend aufgewertet. Hier werden Monat für Monat mit einem leidenschaftlichem Einsatz Künstler aus der Region ausgestellt. Mit sanfter, schon ehr zurückhaltender finanzieller Förderung, und einem nicht mehr zählbaren ehrenamtlichen Zeitaufwand haben die Galeriebetreiber eine kulturelle Duftnote gesetzt. Eine Stadt, die sich auf den Tourismus verlegte, sollte für die zig Millionen jährlichen Gäste ein kulturelles Angebot bieten, dass sich über Shopping hinaus erstreckt. In Geestemünde gibt es hier eine gute Mischung. Der Stadtteil hat noch einige ansprechende Fachgeschäfte die zum bummeln einladen. Mit dem vierwöchentlich wechselnden Ausstellungen wird dem Touristen dazu noch ein flexibles Kunsterlebnis geboten.
Acryl/Wachs Ursula Collmann
Für die kommenden vier Wochen stellen nun Ursula Collmann und Rotraud Schmitter aus. Collmanns Acrylbilder bieten viel Raum für Fantasie. Die Bilder springen mit ihren Farbkompositionen förmlich von der Leinwand. Gleichzeitig wirken sie wie mit von einem leichten Farbnebel eingehüllt. Und hinter dem Schleier aus bunten tanzenden Farben spielt sich etwas ab, Mal mehr Mal weniger konkretes an dem das Auge hängenbleibt, und von dem man sich gerne in die Tiefe des Bildes ziehen lässt. Beide Künstlerinnen arbeiten in ähnlicher Weise. Das Material bearbeiten sie - oder tragen es auf - in einer Form dass sie spontan reagieren müssen. Die Künstlerinnen sind im Wechselspiel mit den entstehenden Werken. Ursula Collmann wünscht sich mit den Betrachter in einen Dialog zu treten um deren Sichtweisen und Berührungspunkte herauszufinden.
Die kleinen bronzenen Plastiken von Rotraud Schmitter sind fein modellierte Hohlkörper. Es entsteht eine leichte Irritation beim betrachten. Man weiß Bronze ist starr und schwer, doch die Plastiken wirken leicht und im Begriff sich zu bewegen. Die Oberflächen sind rau und detailintensiv gestaltet. Sie sind farblich gearbeitet durch Behandlung mit Chemikalien und durch Feuer oder auch sägen, raspeln, schleifen. Rotraud Schmitter beschäftigt sich seit langem mit dem Thema Metamorphose. Die Figuren zeigen diese Wandlungen facettenreich. Im Mittelpunkt steht bei ihr der weibliche Körper mit all den vielfältigen Aspekten der Schöpfung. Da ist eine Nixe mit Fischkopf und untenrum keine einzige Schuppe. Oder eine Eva die ein geläutertes Schönheitsideal verkörpert.
Bronze R. Schmitter
Die Ausstellung dauert noch bis zum 30. September. Geöffnet ist Mo. bis Fr. von 16:00 bis 19:00, Sa. 12:00 bis 15:00 und So. 14:00 bis 17:00. Die Künstlerinnen sind dann anwesend.