Mittwoch, 7. September 2011

Die 39 Stufen

Auf der Bühne hängt ein wunderschöner roter Vorhang. Es ist ein ganz leichter Stoff, der schon bei leichtem Zug mit große Bögen in die Bühnentiefe schweift und schwebt. Er hat einen doppelten Faltenfall. Einmal sind da die großen Faltenbögen die von oben bis auf die Bretter die die Welt bedeuten reichen. Es kommt einem so vor als wäre der Stoff so leicht, dass der Vorhang durch die großen Falten stehen wenn nicht gar fliegen würde. Man könnte fast behaupten der seidenweiche Vorhang weht federleicht über den Brettern. Als sei dies eine Metapher oder Allegorie für das was den Besuchern erwartet. Und dann sind da noch die anderen Falten. Sie sind überall und in allen Richtungen. Wie ein gestärktes Baumwollhemd, ungebügelt, nur viel größer und leichter. Diese Falten sorgen für das Farbspiel aus Rot. Man stellt sich gar nicht vor wie viele mögliche Schattierungen und Abstufungen es bei der dunkelroten Farbe gibt. Es ist nur ein geringes Farbspektrum. von Karminrot bis manchmal ein wenig Bordeaux. Das ist interessant: All die Farben, all die Falten, all die Bögen, Aldi Süd. Wenn sie nun denken ich hätte einen schwachen Witz gerissen dann stimme ich voll und ganz zu. Ich habe ihn sogar abgekupfert, gestern Abend im Stadtheater Bremerhaven, Kleines Haus, bei "Den 39 Stufen".
Das Stück kommt beim Publikum an, keine Frage. Es ist im Stadtgespräch schon so oft positiv dargestellt worden, dass man es gut finden muss. Es ist sogar so gut, dass man gar nicht mehr hinterher kommt es gut zu finden. Von den gefühlten 7394 Gags die eingebaut wurden und mit gnadenloser Penetranz ausgespielt werden sind ca. 30% gut angekommen. Es scheint hier eine Regieleistung in der Form des Antilopen-Prinzips vorzuliegen. Sie kennen das Antilopen-Prinzip nicht? Wenn eine Herde Antilopen von einem Löwen bedroht wird, dann rücken sie zusammen, in der Hoffnung es möge die Antilope neben einem selbst erwischen. Tatsache ist aber, selbst ein Löwe hat an einer Antilope lange Zeit zu verdauen. Nein, kein Zweifel, „Die 39 Stufen“ sind eine Klamotte für die sich lohnt ins Theater zu gehen. Und mit lohnen möchte ich einen quantitativen Aspekt ansprechen. Irgend Jemand muss wohl gedacht haben das mehr Witze auch besser ankommen, weil mehr eben besser ist. Nun, jemand der noch völlig unerfahren ist sei diese Blauäugigkeit zugestanden. Das wäre ein guter Regieeinfall für ein Schultheater in der zweiten oder dritten Klasse. Da amüsiert man sich auch, denn man weiß die Kinderlein haben ja ihren Spass. Und wenn die Kinder Spass haben, dann freut man sich mit – ist doch  selbstverständlich.
Und während ich so dem lustigem Treiben auf der Bühne zuschaute, blitzen so einige Fragen vor meinem inneren Auge auf. Kürzlich hatte ich den Film „Gladiator“ auf DVD gesehen. Da sind eine Menge Szenen in denen die Tod Geweihten zur Unterhaltung der Bürger Roms sich von Tigern und Gladiatoren zerfleischen lassen. Das ganze nannte man „Spiele“ und warf dem Publikum „Brot“ in die Ränge. Das hatte den Vorteil dass das Volk die Klappe hält um in der Dekadenz zu ersticken. War das gemeint als Westerwelle von der spätrömischen Dekadenz sprach? Hätte ich ein durchweg vergnügtes Publikum gesehen das sich von Lachsalve zu Lachsalve steigert und stürzt, dann wäre mir dieser Gedanke an Dekadenz nicht gekommen, da bin ich mir sicher. Wer schon einmal einen Witz erzählt hat weiß, dass die Pointe durch den überraschenden Effekt entsteht. Man lenkt den Hörer auf eine Fährte und dann kommt die plötzliche Überraschung. Damit hatte niemand gerechtet und der Lacher ist garantiert. Dieser Trick hat auch gestern Abend ca. 10 bis 15 Mal funktioniert (siehe die einleitende abgekupferte Pointe). Eine andere Frage stellte sich mir, was wohl die Dramaturgen in so einem Stück machen. Sitzen die im Büro und schauen DVDs um sich aus „Der Wixxer“, „Schuh des Manitu“ und anderen Kino und Fernseh-Comedie-Erfolgen die griffigsten Gags rauszuschreiben. Archivieren sie die dann  und legen ein ausgeklügeltes Zugriffsmuster an um aus der prall gefüllten Datenbank Gags für jede Stimmungslage zu filtern? Oder sind Dramaturgen gewiefte Marketingstrategen die wissen wie man jedes Stück an den Mann bringt. Man kann z. B. einen Namen ins Spiel bringen der Leute neugierig macht. Alfred Hitchcock! Im Programmheft wurde ihm ein gebührender Platz eingerichtet. Doch hat Hitchcock mit dieser Inszenierung so viel zu tun wie Sellerie mit Obstsalat. Nach dieser Vorstellung ist das eine interessante Frage mit der ich mich noch einige Zeit beschäftigen werde.
Dann ist da noch das Schauspiel. Die Schauspieler sind die Seele des Theaters. Glaube ich zumindest, auch jetzt noch. Da bin ich unbeirrt. Zunächst einmal muss man wissen, Schauspieler haben das Handwerk gelernt. Damit heben sie sich vom Amateur ab. Ein ausgebildeter Handwerker kann viel schneller und erfahrener Entscheidungen treffen wie eine Situation ausgeführt werden kann als ein Amateur. Wenn allerdings diese zweifelsfrei vorhandenen handwerklichen Fähigkeiten als sportliche Höchstleistung abgerufen werden, dann fehlt etwas was den professionellen Schauspieler ausmacht. Der Zauber! Man kann mit Spieltechink und Gestaltungideen z.B. ein Auto oder einen Zug darstellen. Man erkennt den Zug und versteht, es soll ein Auto sein. Wenn der Schauspieler aber nicht über den Grad der Sportlichkeit wirken darf dann muss der Zuschauer seinen Beitrag zum Zug und zum Auto leisten. Und diese Eigenleistung, die eine rationale ist, verhindert den Zauber. Der Zuschauer kann anschließend einen Evaluationsbogen ausfüllen, erlebt hat er nix und verzaubert wurde er schon gar nicht. Es kann natürlich sein das es nie beabsichtigt war – wie schade.
Einer sticht aus dem Ensemble heraus wie eine Nonne im Bordell. Dieser eine hält das Stück zusammen. Überall da wo die Gags schwach oder kaum wahrnehmbar sind erklingt seine Kongruenz und Präzision. Er macht den Geräusch- und Klangteppich auf dem das Spiel voranschreitet. Er ist der Hans Zimmer des Theaters. Er macht die Life-Realtime-Nachvertonung des Stücks. Sein Name ist Martin Kruzig. Über die anderen Schauspieler bilde ich mir ein Urteil wenn ich die Gelegenheit sehe das sie ihre Kreativität zum Einsatz bringen können (bevor sie zum Sport müssen). 
Ich kann nur empfehlen sich das Stück anzuschauen. Man kommt - was Lachen betrifft - immer auf seine Kosten, keine Frage. Und wer ein leidenschaftlicher Theatergänger ist hat Gelegenheit einen Eindruck davon zu bekommen, unter welchen Zwängen das Theater steht und welche Kompromisse eingegangen werden um das Haus zu füllen. 

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