Mittwoch, 28. September 2011

Nur ein Kätzchen für Tennessee Williams

Einer Metapher gleich liegen ausgebreitet Europaletten auf der Bühne und reichen in Laufstegen über den Orchestergraben hinaus bis auf den Schoß der Gäste in der ersten Reihe. In der Bühnenmitte türmen sich weitere Paletten zu einer Wand auf und öffnen mit transparenten Vorhängen einen Spielraum in dem Luxus und Dekadenz sich nach Freuden ausbreiten kann. Die sparsam eingesetzten Lichtwechsel vollenden eine Stimmung in der die Lebenslügen der Familie Big Daddys zum Vorschein kommen können, an seinem Geburts- und Sterbetag. Ein Lob an Claus Stump für diese Ausstattung. So eröffnete „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams in der Regie von Kirsten Uttendorf im Großen Haus des Stadttheaters Bremerhaven am vergangenem Samstag.
Europaletten sind ein treffendes Bild. Auf diesem genormten Transportmitteln wird weltweit alles denkbare Handelsgut befördert. Sie stehen zum einen als Zeichen für Umsatzgewinne in unvorstellbaren Dimensionen, Reichtum für die wenigen die den Markt kontrollieren. Andererseits wird schon allein durch die normative Reproduzierbarkeit angezeigt wie groß das Heer der Arbeiter oder Industriezeitsklaven sein muss um diese Flut von Waren zu bewegen. Die Europaletten im Bühnenbild sind offensichtlich neu. Und dennoch ahnt man unvermittelt den Schweiß und die Erschöpfung einerseits, so wie die dicken Zigarren und Schirmgetränke in feudalen Salons andererseits.
Big Daddy hat sich von dem Staub der Straße durch Hände Arbeit und geschickter Manipulation an die Spitze der 28.000 Morgen großen Baumwollplantage gestellt. Er ist ein Mann ohne reinem Gewissen. Er ist ein Tyrann der den letzten Funken Menschlichkeit darin bewahrt, in dem er seine Familie über alles stellt. Aber dieser Wert der Familie ist nicht aufrichtig. Es ist lediglich ein Beruhigungsteil im Puzzle der patriarchischen Big-Daddy-Dynastie. Jetzt am Ende seines Lebens bröckelt und bricht die mühsam aufgebaute Fassade in sich zusammen. So lange er mit Macht und Gewalt alle unter Kontrolle hielt, liefen die Dinge in geordneten Bahnen. Doch wenn die Kontrolle und Gewaltherrschaft an Lebenskraft verliert, dann blitzen die unterdrückten Begehrlichkeiten der einzelnen Familienmitglieder auf und bringen den Herrscher zu Fall. Gadaffi war so ein Big Daddy, Muscharaff auch und in abgeschwächter Form finden wir solche Charaktere überall in der Welt. Und ja, sie vermuten ganz richtig, auch in unserer Nachbarschaft werden sie fündig.
Tennessee Williams hat diesen Verfall und die aufkeimenden Begehrlichkeiten präzise beschrieben. Wenn Ibsen die Psychologie auf die Bühne gebracht hat (Nora oder ein Puppenheim), dann ist Tennessee Williams der Dramatiker der mit feinen psychologischen Nuancen Charaktere beschrieben hat die das Theater auf eine neue Kommunikationsebene gehoben haben, in die Vierdimensionalität, ein Raumzeit-Seelen-Kontinuum. Die Charaktere sind wie Göttergestalten angelegt und kaum noch mit realen Menschen zu vergleichen. Brick, gespielt von Andreas Möckel, trinkt an Big Daddys Geburtstag nahezu drei Flaschen Whiskey ohne erkennbar betrunkener zu werden. Und erst als er die Dritte fast geleert hat, setzt seine Transformation ein. Das ist kein Mangel an Schauspielkunst, vielmehr ist es die Entscheidung wie T. W. metaphorisch die Dimension vom Innenleben eines universalen Brick anlegte. Maggi, seine Frau, ist die fleischgewordenen Walküre die nicht nur bildlich gesprochen alles dafür gäbe um Bricks Liebe zurück zu gewinnen und in einem Triumph aufsteigen zu lassen. Um so mehr ist es mir allerdings ein Rätsel, warum die Regie diese beiden göttergleichen Potentiale so flach und unspezifisch angelegt hat. Brick kommt kurz vor der Pause zumindest annähernd an die Dimension die man einem Brick-Charakter abverlangen darf. Maggi, gespielt von Sascha Maria Icks, kommt nicht über eine sich anbiedernde Gebärbereite hinaus. Wer Frauen – und auch Männer – allein über ihren Sexualtrieb zu definieren sucht hat vom Menschsein, von der Seele der Menschheit und von Tennessee Williams nicht viel verstanden. 
Die offensichtliche oder vordergründige Handlung beschäftigt sich damit das ausser Big Daddy und Big Mama es alle wissen: Big Daddy wird am Krebs sterben! Es traut sich nur niemand dem Hausherrn die Wahrheit zu eröffnen. Und hier stellt sich nun die Frage warum uns diese Inszenierung vorgestellt wird. Ist es ein versteckter Hinweis den Tyrannen dieser Welt mitzuteilen, dass ihre Zeit vorüber ist? Ist diese Inszenierung so etwas wie ein sozialgeschichtlicher Rückblick ins Jahr 1955? Oder wird hier die gesamte Bandbreite der Emotionen, Liebe, Hass, Neid und alle Familienthemen wie Ehe, Kinder, Sex, Krankheit und Tod lediglich angesprochen? Deutlich wird es nicht. Der Herr neben mir in der Reihe klagte nach der Pause bereits das Stück „… habe einige Längen.“ Als im dritten Akt Gooper mit Vertragsentwürfen über die Nachlassregelung anrückt und Dr. Baugh das Morphium für den Sterbenden auspackt riskiere ich einen kleinen Rundblick. Drei Gäste entdecke ich die das Schauspiel für sich zum Hörspiel gewandelt haben. Das mag daran liegen weil die Sehgewohnheiten durch Film und TV geprägt sind. Es gibt Erhebungen die besagen das TV-Nutzer nach spätestens fünf Sekunden, in denen nichts neues passiert, umschalten. Als Big Daddy erfährt das er eben doch am Krebs sterben wird, steht er geschlagene 16 Sekunden reglos da, kein Wort, keine Spannung und keine Reaktion. Und das war nicht die einzige Situation: es gab pathetische Abgänge, ostentatives Gelausche und bedeutungsschwangere Momente in denen nur die Zeit lautlos verfloss. Wir auf der anderen Seite der Rampe müssen raten, rätseln und vermuten. Ein manipulativer Druck lastete auf dem Auditorium der vereinzelt, verständlicher Weise, einschläfernde Wirkung hatte.
Der Premienapplaus forderte das Ensemble mehrmals zur Verbeugung auf die Bühne heraus. Theater ist weit mehr als Unterhaltung, und um die Tiefen wie sie Tennessee Williams beschreibt auszuloten, hätte man dem Spiel mehr abverlangen dürfen. Die Schauspieler wären sicher dazu bereit gewesen. Diese Inszenierung bietet die Möglichkeit zu einer kontroversen Diskussion darüber was man von einer professionellen Bühne erwartet darf. Diese Auseinandersetzung sollte man als Theaterliebhaber Bremerhavens einfordern. Dann hat der neue Intendant noch Möglichkeiten in den kommenden Jahren zu reagieren.
Weitere Vorstellungen am 2., 7., 14. und 22. Okt. 2011 jeweils um 19:30.

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