Bremerhaven Am Samstag hatte „Der Goldene Drache“, ein Schauspiel von Roland Schimmelpfennig, Premiere im Kleinen Haus des Stadttheaters Bremerhaven. Das Ensemble mit Kika Schmitz, Mira Tscherne, Andreas Krebs, Kay Krause und Sebastian Zumpe überzeugte in der Regie von Tim Egloff. Das Stück wurde in einer Kritikerumfrage der Zeitschrift „Theater heute“ zum Stück des Jahres 2010 gewählt. Es geht um illegale Einwanderer. Und es geht darum wie man das Thema auf der Bühne umsetzen kann, den Ort in dem der Zuschauer direkt vor dem Geschehen sitzt.
Leere Bühne. Drei Wände mit goldenen Glitzergirlanden grenzen die Hinter- und Seitenbühne ab. (Bühnenbild von Janine Werthmann.) Die Schauspieler erwarten uns beim Eintreten. Sie tratschen und schauen uns zu. Sofort wird klar: Wir sitzen in einem Boot. Die Trennungslinie an der Rampe wird aufgehoben. Im Laufe des Spiels werden wir direkt angesprochen, aber nicht im Dialog, sondern wie Zuhörer einer Geschichte die uns im vertrauten Kreis am Kamin erzählt werden könnte. Intimität gepaart mit Distanz! Dann, als alle sitzen, wechselt das Licht. Temporeich legen sie los. Es beginnt in einer Küche in einem chinesischen Restaurant. Mindestens einer ist illegal, beschäftigt, eingewandert, vorhanden. Dumm das gerade dieser Zahnschmerzen bekommt. Der Zahn muss raus. Aber als Illegaler kann er eben nicht zum Arzt. Dann flöge er auf, die anderen wahrscheinlich auch. In der Folge beginnt eine Odyssee wie das Zahnproblem gelöst werden kann. Neben dieser Handlung, die der Rote Faden im Stück bleibt, gibt es Nebenschauplätze die das nähere Umfeld zeigen in dem die illegalen Menschen um uns herum leben, sich verstecken, sich ausbeuten lassen, sich ausnutzen und prostituieren lassen. Das die Zahnschmerzen zum unvermeidlichen Tod führen ist nur eine logische Konsequenz. Roland Schimmelpfennig zeigt in seinem Stück mit vielen klar verständlichen Halbsatzdialogen/Monologen und ellenlangen Aufzählungen vor allem den Weg und das Umfeld in dem es passiert. So ist der Lebensmittelhändler, großartig von Kay Krause dargestellt, einer von vielen Typen die dieses Umfeld bilden. Da sind noch zwei Stewardessen, dann ein junges Paar das überraschend ein Kind erwartet, ein anderes Paar mit Alkohol- und Beziehungsproblemen, der alte Mann der sich mit seiner Nichte trifft. Je weiter das Spiel voran schreitet stellt sich heraus das alle auf die eine oder andere Art mit einander verbunden sind. Dennoch sind die Illegalen streng getrennt von dem Umfeld in dem sie leben. Und es dürfen Fragen gestellt werden: Unterscheiden sich die Illegalen von den offiziellen in ihrem sozialem Dasein? Was trennt letztendlich die Gruppen voneinander ausser die Gesetzgebung?
In der Inszenierung fallen einige Dinge auf. Männer spielen Frauen und umgekehrt. Was hier erzählt wird ist nicht genderspezifisch, sondern menschlich. Im Stück ist die Fabel von Jean de la Fontaine von der Ameise und der Grille eingearbeitet. Die Darstellung dieser Metapher ist mit Spielrhythmik und gelungener Requisitenauswahl wunderschön, oder sollte ich sagen fabelhaft, umgesetzt. Tim Egloff ist es sehr gut gelungen die vielen Spielebenen und versteckten Schauplätze zu organisieren. Das erlaubt schnelle Wechsel von Szene zu Szene, das gibt Raum die verbindenden Gedanken zu einem straffen Seil zu knüpfen. Und dann geschieht in der zweiten Hälfte etwas besonderes. Der Funke springt über. Die Grenze zwischen spielen und betrachten löst sich auf. Es ist ein gemeinsames Erlebnis. Wir urteilen nicht mehr aus unseren Sesseln heraus, wir sind Teil des Geschehens. Das ist sicherlich dem Ensemble zu verdanken, dass mit hohem Einsatz und überzeugendem Engagement uns alle in den Bann zieht. Dafür ein „Bravo!“ Das lässt uns vergessen und darüber hinweg sehen das einige Passagen in der überschnellen Dynamik nicht richtig zu verstehen waren. Denn Theater ist erleben und nicht urteilen, und schon gar nicht Geschmack. Man kann nur hoffen das sich der Erfolg schnell herum spricht. Denn ca. ein Drittel der Plätze im Kleinen Haus blieben leer. Dafür war der verdiente Applaus anhaltend und herzlich.
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